Das fotografische Porträt

Fotografische Porträts sind schon zur Zeit der Daguerreotypie sehr beliebt. 1854 erfindet der französische Fotograf André Adolphe Eugène Disdéri die kleinen Carte-de-visite-Bilder, die sofort von grossem Erfolg gekrönt waren. Das Porträtgeschäft floriert zunächst, doch schon bald wird die Technik soweit vereinfacht, dass sie viele Leuten zugänglich wird. Die Ästhetik hängt von Modeströmungen ab und entwickelt sich zur Nüchternheit.

Das Fotoatelier ist eine Welt für sich, grösser oder kleiner, je nach den finanziellen Mitteln seines Besitzers … Im Wartezimmer hat der Kunde genügend Zeit die Musteralben durchzusehen und den Stil auszuwählen, der ihm für seine Porträts am ehesten zusagt. Danach kommt er ins grosse, lichtdurchflutete Atelier mit dem charakteristischen Glasdach, das für unangenehme klimatische Bedingungen sorgte, wenn man den Berichten aus jener Zeit glauben darf …

Dann setzt sich der Kunde vor den oft gemalten Hintergrund in den Sessel, umgeben von den ausgewählten Requisiten und lehnt den Kopf gegen den Kopfhalter, damit er sich während der sekundenlangen Belichtungszeit nicht bewegt. Der Fotograf gestaltet das Licht mit Hilfe der Vorhänge vor dem Glasdach und hellt die Schattenpartien mit einer weissen Fläche auf. Erst nach 1880 hält die elektrische Beleuchtung Einzug in das Fotoatelier.

Wenn alles bereit ist, gilt es nur noch den Auslöser zu drücken! Die grossformatige Kamera steht auf einem schweren Holzstativ und ist mit einem Spezialobjektiv für Porträts ausgestattet. Es hat eine lange Brennweite und eine hohe Lichtstärke, damit eine möglichst kurze Belichtungszeit resultiert. Die Platten weisen in der Regel die Formate 13×18 cm oder 18×24 cm auf.

Das Atelier Täschler in St.Gallen

Johann Baptist Täschler, gelernter Uhrmacher und Gelegenheitsmaler, zeigt für die Fotografie von Anfang an Interesse. Er ist der erste Fotograf in der Schweiz, dem Daguerréotypien gelingen, danach ist er von 1847 bis 1850 als Reisefotograf unterwegs, bis er sich schlussendlich in Sankt Fiden an der Greithstrasse niederlässt. 1856 baut er neben seinem Wohnhaus ein Fotoatelier, dessen Gebäude heute noch existiert.

Das Atelier Täschler gewinnt rasch an Bekanntheit, und Johann Baptist holt seine vier Söhne (Carl, Max, Ludwig und Emil) in sein Geschäft. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1866 trennen sich die Söhne. Einzig Ludwig bleibt im väterlichen Betrieb und entwickelt eine neue Retuschiertechnik, die dem Atelier Täschler schnell zu hohem Ansehen verhilft: Er malt die Hintergründe direkt auf die negative Glasplatte. Ein Sohn von Max, Marzell, erlernt bei seinem Onkel das Fotografenhandwerk und arbeitet dort bis 1908. Aber seit den 1890er Jahren läuft der Geschäftsgang zusehends schlechter, so dass Ludwig 1919 seine Tätigkeit einstellen muss.

1952 übergibt Marzell das gesamte Material des einstigen Ateliers der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, die in ihrem Institut für Kommunikationswissenschaft bereits eine grosse Kamerasammlung verwaltet. Ende der 1980er Jahre geht dieser Bestand an das Kameramuseum in Vevey und so finden auch die Schätze des Ateliers Täschler dort ihre Bleibe.

Illustration:
Atelierkamera Roth & Cie, Biel, um 1910.
Für ein Plattenformat von 18×24 cm; die Sucher Mattscheibe ist modern.
Der bemalte Hintergrund, der mit Velours überzogene Stuhl sowie die Kopfstütze stammen aus dem Atelier Täschler in Sankt Gallen, Ende des 19. Jahrhunderts
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